Text 10:
Macrobius, Commentarii in Somnium Scipionis 1,2,7-15

 

Macr. somn. 1,2,7
Macr. somn. 1,2,8a


Macr. somn. 1,2,8b


Macr. somn. 1,2,9a
Macr. somn. 1,2,11



Macr. somn. 1,2,13a

Macr. somn. 1,2,13b

Macr. somn. 1,2,14a

Macr. somn. 1,2,14b

Macr. somn. 1,2,15a


Macr. somn. 1,2,15b

Fabulierende Geschichten, bei denen schon ihr Begriff eine Fiktion (1) anzeigt, hat man erfunden, teils um bloß den Ohren Vergnügen zu bereiten, teils auch zur Ermahnung um eines guten Zweckes willen. Es schmeicheln dem Ohr Komödien, wie sie Menander und seine Nachfolger zur Aufführung gebracht haben, oder Romane voll von erdichteten Liebesabenteuern, eine Gattung, in der sich Petronius (Arbiter) vielfach geübt hat und mit der zu meiner Verwunderung auch Apuleius gelegentlich gespielt hat. Die Philosophie verweist die ganze Gattung solcher Geschichten hinaus aus ihrem Heiligtum in das Nest der Ammen.

Bei den Geschichten jedoch, die den Leser irgendwie zu einer Vorstellung von Tugend anleiten, trifft man eine weitere Unterscheidung. Denn entweder wird die Handlung mit abstoßenden Stoffen und solchen, die dem Wesen der Götter unwürdig sind, gestaltet, wie etwa mit Ehebruch von Göttern, oder es wird die Kenntnis heiliger Dinge unter dem Deckmantel literarischer Erfindung vermittelt; das Letztere ist die einzige Art von Dichtung, wie sie die Behutsamkeit eines Philosophen zulässt, der sich mit der Thematik des Göttlichen beschäftigt.

Man muss indes wissen, dass die Philosophen selbst die erlaubten Geschichten nicht bei jeder wissenschaftlichen Erörterung zulassen. Sondern sie machen gewöhnlich von ihnen Gebrauch, wenn sie über die Seele, über die Mächte im Äther oder über die sonstigen Gottheiten sprechen. Ansonsten, wenn die Abhandlung sich zur höchsten und ersten aller Gottheiten zu erheben wagt, welche die Griechen das Gute nennen, oder zum Geist, der die Urbilder der Dinge in sich birgt, befassen sie sich überhaupt nicht mit Erdichtetem. Vielmehr, wenn sie eine Aussage über solche Themen versuchen, die nicht nur die menschliche Sprache, sondern auch das menschliche Denken übersteigen, nehmen sie ihre Zuflucht bei Gleichnissen und Beispielen. So hat Platon, als er sich entschloss, über das Gute zu sprechen, es nicht gewagt, zu sagen, was das Wesen des Guten sei, da er ja nur das eine wusste, dass das Wissen um die Beschaffenheit des Guten für den Menschen unmöglich sei. Er hat lediglich von größter Ähnlichkeit mit dem Guten im Bereich des Sichtbaren die Sonne befunden und im Vergleich mit ihr hat er seiner Sprache einen Weg geöffnet, um sich zum Unfassbaren zu erheben.

 

 

(1)  "Aussage von Falschem"